Die Wiedergeburt der Arbeiter-Zeitung
Grafik auf der Titelseite der AZ vom 5. August 1945
Am Sonntag den 5. August 1945 erschien zum ersten Mal nach mehr als elf Jahren des erzwungenen Schweigens die Arbeiter-Zeitung wieder in Österreich. Bis dahin hatte es seit dem Einzug der Russen in Wien nur zwei Zeitungen gegeben: die Österreichische Zeitung, das Organ der Roten Armee, und das Neue Österreich als „Organ der demokratischen Einigung“, in dem Vertreter der drei Parteien saßen, die die Republik konstituiert hatten, und das der Kommunist und einstmalige AZ-Redakteur Ernst Fischer leitete. Im Sommer hatte dann die sowjetische Besatzungsmacht ihre Einwilligung für die Herausgabe von Zeitungen der Parteien gegeben. Und so wurde die Arbeiter-Zeitung wiedergeboren; zugleich mit ihr erschienenen das Kleine Volksblatt als Organ der ÖVP und die kommunistische Volksstimme.
Für viele Menschen war das Wiedererscheinen der Arbeiter-Zeitung nach den Jahren des Austrofaschismus, der Naziherrschaft und des Krieges, in der Trostlosigkeit des hungernden und zerstörten Österreich ein Signal der Hoffnung. Schon in der Nacht stellten sich viele Leute bei dem – glücklicherweise von den Kriegsereignissen verschont geblieben – „Vorwärts“-Gebäude in der Rechten Wienzeile an, um ein druckfeuchtes Exemplar der durch Jahre entbehrten Zeitung zu ergattern. Auch bei den Trafiken zeigte sich ein ähnliches Bild. Die Auflage, aufgrund der Papierzuteilung mit 100.000 begrenzt, war im Nu vergriffen.
Der Parteivorstand der SPÖ war bei der Wiederbegründung des Zentralorgans vor schwierigen Problemen gestanden: Es gab kaum sozialistische Journalisten im Land. Sie waren, von zwei Diktaturen verfolgt, buchstäblich dezimiert worden: in die Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen, ins Ausland getrieben, auf den Schlachtfeldern verblutet oder in den Kriegsgefangenenlagern geblieben. So wurden die Leser am 22. September 1945 von einer kurzen, fettgedruckten Mitteilung auf Seite 1 überrascht: „Der Parteivorstand der Sozialistischen Partei Österreichs hat beschlossen, die Chefredaktion der Arbeiter-Zeitung dem aus der Emigration heimgekehrten Genossen Dr. Oscar Pollak zu übertragen, der nach dem Tode Friedrich Austerlitz’ im Jahr 1931 bis zur Unterdrückung der Arbeiter-Zeitung im Jahre 1934 ihr Chefredakteur war. In Anbetracht der Erkrankung des bisherigen Chefredakteurs Genossen Heinrich Schneidmadl hat Genosse Oscar Pollak sofort seine Funktion übernommen.“
Die Zeitung, die sich was traut
Als Oscar Pollak nach Wien kam, war noch ganz Wien von den Sowjets besetzt. Erst einige Wochen danach zogen die anderen Alliierten in Wien ein, und der 5. Bezirk, in dem sich das „Vorwärts“ befand, wurde der britischen Zone zugeteilt. Zunächst aber kam jeden Abend ein sowjetischer Hauptmann in die Redaktion, dem Seite für Seite zur Zensur vorgelegt werden musste.
Am 3. April 1947 holte Oscar Pollak zur großen Anklage aus: Der Leitartikel „Die Unbekannten“, zweifellos im Einvernehmen mit Innenminister Oskar Helmer verfasst, legte die Haltung der Arbeiter-Zeitung unmissverständlich fest – sie wurde „die Zeitung, die sich was traut“. Denn Pollak getraute sich, auszusprechen und zu veröffentlichen, was bisher nur unter vorgehaltener Hand geflüstert worden war. Zumal zu den Raubüberfällen und Vergewaltigungen jetzt zunehmend neue Übergriffe kamen: die Fälle von Menschenraub, bei denen Österreicher von der Straße weg verhaftet wurden, in einer Kommandantur verschwanden, und dann hörte man lange nichts mehr von ihnen, bis eine Mitteilung, eine Rotkreuz-Karte aus einem sowjetischen Gulag kam: wegen Spionage verurteilt.
Der gute Ruf der Arbeiter-Zeitung verbreitete sich rasch, der Slogan Die Zeitung, die sich was traut – die Zeitung, der man vertraut erwies sich als erlebbare Realität. Die Auflage der Arbeiter-Zeitung stieg und stieg, mit etwa 300.000 war sie schließlich die größte Zeitung Österreichs.