Prof. Dr. Hans Mommsen
Die Krise der parlamentarischen Demokratie im Europa der Zwischenkriegszeit (Feldafing)Eine Analyse des Aufstiegs der faschistischen Bewegungen im Europa zwischen den Kriegen und deren Machteroberung in Italien und Deutschland kann nicht von der Betrachtung der Entwicklung der in den Pariser Vorortsverträgen geschaffenen parlamentarischen Systeme abstrahieren. Im folgenden wird versucht, eine vergleichende Sicht dieser dramatischen Periode von 1919 bis 1939 zu skizzieren, die den Hintergrund für die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges bildet.
Die Epoche der beiden Weltkriege hat das Gesicht Europas von Grund auf verändert. Das klassische europäische Staatensystem hatte vor der Aufgabe versagt, einen europäischen Gesamtkrieg zu verhindern, der sich notwendig zu einem Weltkrieg ausweiten musste. Die Rivalität der europäischen Großmächte auf dem Balkan bildete das auslösende Moment für den epochalen Konflikt. Die Krise spitzte sich zu einem Zeitpunkt zu, an dem die Habsburgische Monarchie nicht mehr wie anlässlich des Zweiten Balkankrieges von 1908 einer weitere territori-ale Ausdehnung anstrebte, die das zaristische Reich als Bedrohung seiner Hemisphäre empfand. Vielmehr war die österreich-ungarische Regierung bemüht, die südslawischen Nationalitätenspannungen aus-zugleichen, die auf den Zusammenhalt in einer schweren Verfas-sungskrise befindlichen Vielvölkerstaates bedrohlich einwirkten. Der Konflikt wurde von einer kleinen Gruppe serbischer Nationalsten mit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand ausgelöst, wobei diese sich der Sympathien der russischen Politik si-cher wähnten.
Im Juli 1914 bestand die Chance, das drohenden Karussell gegenseiti-ger Mobilmachungen aufzuhalten. Indessen fand sich Reichskanzler Bethmann-Hollweg nicht dazu bereit, die Vermittlungsbemühungen der britischen Diplomatie mehr als halbherzig zu unterstützen, da er davon eine Schwächung seiner innenpolitischen Stellung befürchtete. Vielmehr ließ er sich auf das Vabanquespiel eines russischen Eingrei-fens in den österreich-ungarisch-serbischen Konflikt ein, obwohl dies angesichts der engen Bündnisbeziehungen des Zarenreiches zu Frank-reich und Großbritannien die Gefahr eines Zweifrontenkrieges nach sich ziehen musste. Andererseits waren die Westmächte nicht geneigt, gegenüber den Weltmachtallüren des deutschen Kaisers und dessen realen Flottenbauplänen zurückzustecken.
Die Pattsituation, die dadurch eintrat, wurde jäh durch die Entschei-dung der kaiserlichen Regierung beendet, die russische Mobilma-chung mit der eigenen Kriegserklärung zu beantworten. Den Hinter-grund dazu bildete einerseits der Schlieffen-Plan, der von dem Kalkül ausging, rasche militärische Erfolge im Westen erringen zu können, bevor die russische „Dampfwalze“ aktionsfähig sein würde. Anderer-seits war nicht nur bei der militärischen Führung, sondern auch bei der politischen Klasse die Auffassung weit verbreitet, dass der militäri-sche Konflikt nicht aufgeschoben werden dürfe, da über kurz oder lang der sozialdemokratische Einfluss im Deutschen Reichstag die außenpolitische Handlungsfähigkeit des Reiches empfindlich beein-trächtigen würde.
Dies war die Ausgangslage, aus der dann die „Urkatastrophe“ des Ers-ten Weltkrieges hervorgehen sollte. Das europäische Gleichgewicht, das sich immer mehr in ein dualistisches Blocksystem verwandelt hat-te, verlor seine regulierende Funktion. Der beginnende Weltkrieg weitete sich rasch zu einem Hegemonialkrieg aus. Von den West-mächten wurde er zunehmend mit der Zielsetzung geführt, dem de-mokratisch-parlamentarischen System in Mitteleuropa Geltung zu ver-schaffen und das autoritäre Regime des deutschen Kaiserreiches zu stürzen. Mit der Ausweitung des Krieges auf außereuropäische Mäch-te entstand eine Weltbürgerkriegssituation, die auch für den Zweiten Weltkrieg bestimmenden Charakter haben sollte. Mit dem Kriegsein-tritt der USA und den 14Punkten Präsident Wilsons wurde zugleich das außenpolitische Handeln der Großmächte immer mehr mit innen-politischen Zielsetzungen unterfüttert.
Die militärische Niederlage der Mittelmächte läutete das Ende des monarchischen Prinzips auf dem Kontinent ein. Nur in den skandina-vischen und Benelux-Ländern, in Bulgarien und Rumänien sowie in Italien behaupteten sich die bestehenden konstitutionelle Monarchien. Allenthalben erfolgte spätestens mit dem Ende des Ersten Weltkrieges der Übergang zum parlamentarisch-demokratischen System, wenn-gleich mit unterschiedlich starken inneren Widerständen. Was als hoffnungsvoller Neuanfang für die europäische Staatenwelt erschien, erwies sich jedoch nicht als Faktor politischer Stabilität, sondern als Ausgangspunkt einer nach und nach fast alle kontinentaleuropäischen Staaten erfassenden innenpolitischen Krise und der Aushöhlung oder Aufhebung der nach 1918 geschaffenen Verfassungsordnungen. Die Zwischenkriegszeit war daher primär durch eine zunehmende Funkti-onsschwäche des parlamentarischen Systems geprägt, und der Auf-stieg der Faschismen stellte daher nicht so sehr die Ursache als viel-mehr die Folge dieser Entwicklung dar.
Einer der Gründe für das Scheitern einer stabilen und umfassenden mitteleuropäischen Neuordnung nach 1919 ist in dem Umstand zu se-hen, dass die Beratungen der Großmächte auf der Pariser Friedenskon-ferenz unter dem Druck der sich überschießenden Ereignisse der Ok-toberrevolution in Russland erfolgten und eine rasche Beendigung der Verhandlungen angezeigt schien. Das trug dazu bei, dass die Signa-tarmächte – nicht zuletzt auf Kosten der Mittelmächten – sich zu fragwürdigen außenpolitischen Kompromissen verleiten ließen. Eine Fülle von diplomatischen faits accomplis schloß eine umfassende Anwendung des von Präsident Woodrow Wilson in dessen 14 Punkten zugesicherten Selbstbestimmungsrechtes aus. Das galt insbesondere für Deutschland und Österreich. Es wäre jedoch auch auf Grund der schwer lösbaren Nationalitätenlagerungen schwerlich zu allseits be-friedigenden Lösungen gekommen. Jedenfalls waren die neu gebilde-ten Nationalstaaten mit ähnlichen nationalen Spannungen behaftet, wie sie in Österreich-Ungarn und dem zaristischen Reich auf der Ta-geordnung waren.
Als erstes Land löste sich Ungarn nach dem Zwischenspiel der Räte-republik unter Bela Kun vom parlamentarischen System und beschritt den Weg zu einer autoritären Verfassung mit Admiral Horthy als Reichsverweser. Wenig später scherte Italien aus dem Kreis der libe-ralen Verfassungsstaaten. Trotz der starken liberalen Traditionen des Landes führte der Konflikt der bürgerlichen Parteien mit der zuneh-mend radikalisierten Arbeiterbewegung in ein parlamentarisches Patt. Benito Mussolini benütze die Schwäche der Republik, um an der Spit-ze seiner faschistischen Schwarzhemden und der 1921 konstituierten Partito Nazionale Fascista die republikanische Regierung und König Victor Emanuel massiv unter Druck zu setzen. Zum Ministerpräsiden-ten ernannt, baute er seine Stellung schrittweise zu einer faschisti-schen Diktatur aus, die sich auf die Armee und das Königshaus, aber auch auf die katholische Kirche stützen und nach dem Protest des A-ventin 1924 die parlamentarische Opposition ausschalten konnte.
Die neugeschaffenen Mittelstaaten folgten Italien auf dem Weg zu autoritären und faschistischen Experimenten. Dabei fungierten die po-litisch nicht integrierten nationalen Minderheiten als auslösender Fak-tor. In Polen wurde das 1921 eingeführte parlamentarische Zweikam-mersystem nach dem Staatsstreich Marschall Jozef Pilsudskis im Mai 1926 durch ein schrittweise etabliertes autoritäres System abgelöst, wobei er sich auf. einen „Parteilosen Block der Zusammenarbeit mit der Regierung“ stützte, der überwiegend konservative, nationalistische und militärische Gruppierungen umfasste. Das nach der Erkrankung Pilsudskis 1930 errichtete sogenannte Obristenregiment trug stärker autoritäre Züge, wenngleich die 1935 verabschiedete Verfassung Res-te der repräsentativen Demokratie bestehen ließ, darunter das direkte Wahlrecht. Versuche, den Block in Analogie zur Falange zu einer fes-ten nationalistischen Organisation auszubauen, blieben jedoch weitge-hend stecken, während die oppositionellen Gruppen zersplittert blie-ben.
Auch in den baltischen Staaten veränderte sich die innenpolitische Lage zu Ungunsten des parlamentarischen Systems. In Litauen wurde zwar 1922 eine parlamentarische Verfassung nach französischem Vorbild verabschiedet. Nachdem das Land in den russisch-polnischen Krieg verwickelt worden war, ohne dass der Konflikt mit Polen beige-legt werden konnte, kam es 1926/27 zur Bildung einer rechtsautoritä-ren Regierung unter Antanas Smetona. 1931 konnte dieser sich ge-genüber der rivalisierenden nationalistischen Bewegung unter Augus-tinas Voldemaras vollends durchsetzen und eine Präsidialdiktatur und einen Einparteienstaat errichten, der sich vorwiegend auf die Armee abstützte. Auch in Lettland und Estland erwiesen sich die neu einge-führten parlamentarischen Verfassungen als instabil und wurden zu Beginn der 30er Jahre durch gemäßigte autoritäre Systeme ersetzt, sich in nationalistischen Veteranenverbänden eine populistische Basis verschafften.
Dramatischer verlief der innenpolitische Prozess im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das aus heterogene historische Terri-torien mit Serbien als Kernland umfasste und aus dem Zusammen-bruch der Habsburgischen Monarchie hervorgegangen war. Es gelang nach 1919 zu keinem Zeitpunkt, das parlamentarische System zu sta-bilisieren und zu arbeitsfähigen Regierungen zu gelangen. Am 6. Ja-nuar trat die Königsdiktatur Alexander Karadjordievics an dessen Stelle, damit eine extrem autoritäre Regierung, die ein Verbot politi-scher Parteien erließ. Die kroatische Ustascha war schließlich für die Ermordung des Königs 1934 verantwortlich, was die innenpolitischen Gegensätze weiter verschärfte.
Alles in allem fällt die Bilanz für die in den Pariser Vorortsverträgen geschaffenen parlamentarischen Systeme überwiegend negativ aus. Sicherlich haben die territorialen Festlegungen, die damals erfolgten, zur Instabilität der Nachfolgestaaten beigetragen. Andererseits hätten Grenzziehungen, die stärker auf ethnische Faktoren Rücksicht nah-men, die für Ostmitteleuropa kennzeichnende nationale Durchmi-schung nicht unterbinden können. Daher ist das vernichtende Urteil, das Oskar Jaszi über die Pariser Friedensregelungen fällte, überzogen. Es ist jedoch unbestritten, dass die starre Ausrichtung der Großmächte am Nationalstaatsprinzip sich als Remedium gerade nicht bewährt hat. Nur in den baltischen Staaten kam es zu einer institutionellen Beile-gung der nationalen Konflikte, allerdings auf Kosten der ökonomisch saturierten deutschen Minderheiten.
Es würde zu weit führen, die anhaltenden nationalitätenpolitischen Spannungen in der Zwischenkriegszeit im einzelnen aufzulisten. Die Politik des Völkerbundes trug wenig dazu bei, sie zu entschärfen. Die Nationalitätenschutzverträge, die unter der Garantie des Völkerbundes standen, waren in erster Linie in der Absicht geschlossen werden, die Assimilation der neu entstehenden nationalen Minderheiten zu er-leichtern, nicht aber deren Stellung materiell zu verbessern oder ihnen korporative Recht einzuräumen. Die Bestrebungen der europäischen Nationalitätenkongresse fanden daher nur geringe internationale Be-achtung, zumal sie vielfach als Mittel benützt wurden, um Revisions-forderungen auf Seiten der in den Friedensverhandlungen unterlege-nen Staaten zu unterstützen.
Die nach dem Vorbild des österreichischen Sozialdemokraten und späteren Staatskanzlers Karl Renner präsentierten Lösungsvorschläge auf der Grundlage des Personalitätsprinzips fanden daher wenig Be-achtung, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat das westliche Na-tionsverständnis gerade auf der Ebene internationaler Organisationen bewirkt, dass Lösungen nur mittels der Schaffung national homogener Territorien angestrebt wurden. Vielmehr hat der Völkerbund die ver-hängnisvolle Strategie inauguriert, Nationalitätenkonflikte durch sys-tematische Zwangsumsiedlungen lösen zu wollen – so im Hinblick auf den griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausch, der 1923 im Ver-trag von Lausanne vereinbart wurde und den betroffenen Bevölkerun-gen auf beiden Seiten unermessliches Leid zufügte.
Der spektakulärste Versuch, das westeuropäische Konzept des homo-genen Nationalstaates auf die ostmitteleuropäische Völkermischzone zu übertragen, war die von Jan Masaryk und Eduard Benesch starr beibehaltenen Zielsetzung, die neu geschaffene tschechoslowakische Republik als Nationalstaat nach westlichem Muster zu begründen. Dass beide Politiker das von ihnen in Pitts¬¬burgh/USA 1917 der slo-wakischen Volksgruppe gegebene feierliche Versprechen, sie gleich-berechtigt an der neuen Staatsbildung zu beteiligen, auch nicht an-satzweise einlösten, sollte sich auf lange Sicht bitter rächen. In den-selben Zusammenhang gehörte die Zurücksetzung des wirtschaftlich und kulturell einflussreichen deutschen Bevölkerungsteils, mit der die tschechoslowakische Regierung letztlich an die fragwürdigen Pläne einer tschechischen Aufsiedlung der Sudetenländer anzuknüpfen ver-suchte, obwohl sie sich schon in den 1860er Jahren als illusorisch er-wiesen hatten.
Zwar haben die nationalen Spannungen die relative ökonomische Prosperität der Tschechoslowakei nicht unmittelbar beeinträchtigt, zumal es Benesch bis zum Beginn der 30er Jahre gelang, den nationa-listischen Flügel der deutschen Minderheit, der dann in der Henlein-Bewegung aufging, zu isolieren und mit der Mehrheit der deutschen Partien zusammenzuarbeiten, aber die unbefriedigende Lage der deut-schen Bevölkerung namentlich in den Sudeten sollte einen günstigen Hebel für den die nationalsozialistische Agitation und Infiltration bie-ten. Entscheidend war jedoch der Umstand, dass Frankreich, das ja seit 1918 als Garantiemacht fungiert und mit der Kleinen Entente eine Gegenfront gegen zu Zugriff der faschistischen Mächte geschaffen hatte, seine ökonomische und finanzpolitischen Ordnungsfunktion in Südostmitteleuropa zunehmend einbüßte und nach 1938 seinen militä-rischen Garantieverpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei nicht nachkam. Für die Gesamtkonstellation war es bezeichnend, dass die tschechische Republik, die als Schöpfung Frankreichs betrachtet werden konnte dem vom Deutschen Reich forcierten Druck der natio-nalen Minderheiten auf die Dauer nicht standhalten konnte. Nach den im Münchner Abkommen saufgezwungenen Gebietsverlusten befand sich auch das parlamentarische System in einem Zustand der Auflö-sung.
Im Unterschied zu den übrigen ostmitteleuropäischen Ländern Staaten war im Fall der Tschechoslowakei der 1919 vollzogene Übergang zum parlamentarischen System erfolgreich und führte trotz aller nati-onalitätenpolitischen Belastungen zu relativ stabilen innenpolitischen Verhältnissen. Erst der massive Druck des Deutschen Reiches und das Zurückweichen Frankreichs bewirkten die innere Krise, die sich auch in der Loslösung der Slowakei und der Inthronisierung des Tito-Re¬gimes niederschlug. Vor diesem Hintergrund tritt die Entwicklung in Österreich und im Deutschen Reich in eine andere Beleuchtung, als wenn sie nur unter dem Blickwinkel Westeuropas betrachtet wird. In beiden Fällen führte die Schwäche der republikanischen Kräfte trotz einer Abfolge innenpolitischer Krisen erst 1933 zur Auflösung des parlamentarischen Systems.
Die Republik Österreich, der von der Pariser Friedenskonferenz der „Anschluss“ an das Deutsche Reich verwehrt wurde, hielt trotz der an den Rand des Bürgerkrieges führenden Konflikte im Anschluss an den Justizpalastbrand von 1927 bis zum Frühjahr 1933 am parlamentari-schen System fest. Die Sozialdemokratische Partei, von der die radi-kal-parlamentarisch geprägte Übergangsverfassung von 1918 maßgeb-lich bestimmt worden war, hatte nur zögernd dem Verfassungskom-promiss von 1920 zugestimmt und wollte das damals verabschiedete Bundesverfassungsgesetz allenfalls als Provisorium bis zu dem erwar-teten Anschluss an Deutschland akzeptieren, der ihr zusammen mit den reichsdeutschen Sozialdemokraten eine breite parlamentarische Mehrheit zu verschaffen versprach.
Die Christlichsoziale Partei unter der Führung von Prälat Ignaz Seipel wandte sich hingegen zunehmend vom parlamentarischen System ab, das sie selbst mit ins Leben gerufen hatte, und sympathisierte mit be-rufsständisch-korporatistischen Verfassungsmodellen. Als innenpoliti-scher Partner bot sich die prä-faschistisch ausgerichtete, betont anti-marxistische Heimwehrbewegung an, um mit deren Hilfe die Sozialis-ten auszuschalten. Die beiden bürgerlichen Rechtsparteien, die Groß-deutsche Volkspartei und der Landbund standen zwar auf dem Boden der parlamentarischen Verfassung, bestritten aber die Lebensfähigkeit der Republik und verfochten deren „Anschluss“ an das Deutsche Reich.
Angesichts dieser innenpolitischen Konstellation stellt sich das Frage, warum in Österreich das parlamentarische System, mit geringen Mo-difikationen durch das Verfassungsgesetz von 1929, bis 1933 Bestand hatte. Der maßgebende Faktor, der ein Festhalten an den Verfassungs-kompromissen herbeiführte, bestand in der extremen finanzpolitischen Abhängigkeit der Republik von den Westmächten, die in den 1922 abgeschlossenen System der Genfer Verträge einen Niederschlag fand. Die Kreditabhängigkeit der österreichischen Wirtschaft vom Westen wirkte sich daher in einer Absicherung des verfassungspoliti-schen Status quo aus, und dies ermöglichte die Einigung der beiden innenpolitischen Lager anlässlich der Verfassungsrevision von 1929. Otto Bauer, der Führer der Sozialdemokratie, beklagte damals bitter, dass das System der Genfer Verträge den sozialistischen Sozialisie-rungsabsichten einen Riegel vorschob.
Die Ausschaltung der parlamentarischen Verfassung nach dem Febru-ar 1934 und die Umwandlung in das als „Ständestaat“ deklarierte au-toritäre System unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuss vollzog sich mit der diplomatischen Unterstützung Benito Mussolinis und in einer außenpolitischen Konstellation, die durch die Schwäche der Kleinen Entente und die Preisgabe der Donauföderationspläne Frankreichs ge-prägt war. Zwar konnte Frankreich den Coup der Deutsch-öster¬reichischen Zollunion von 1931 abwehren, aber der Vorgang zeigte, dass das parlamentarische System in Österreich im Grunde bereits ab-geschrieben war. 1934, nach der Provozierung des Februaraufstandes, schickte sich Dollfuss mit Hilfe der Heimwehren und der offenkundi-gen Rückdeckung Mussolinis an, die Liquidierung der österreichi-schen Sozialdemokratie und Freien Gewerkschaften zu vollziehen.
In Deutschland war der Übergang zur parlamentarischen Demokratie 1919 nicht zuletzt auf Grund der in der deutschen Öffentlichkeit ver-breiteten Hoffnung vollzogen worden, durch die Preisgabe der Ho-henzollernmonarchie zu günstigeren Friedensbedingungen gelangen zu können. Allerdings bestanden darüber noch bei Kriegsende äußerst widersprüchliche Vorstellungen. Im Vordergrund der verfassungspoli-tischen Auseinandersetzungen hatte die preußisch Wahlrechtsfrage gestanden. Teile der politischen Elite erwogen eine Parlamentarisie-rung des Bundestages, gerade nicht des Reichstages. Das galt auch für den Staatsrechtler Max Weber, der zu den Verfassungsberatungen hinzugezogen wurde.
Die Mehrheitssozialdemokratie, die an die Spitze des inzwischen ge-bildeten Rates der Volksbeauftragten getreten war, hatte sich bis dahin über verfassungspolitische Fragen nur kaum Gedanken gemacht. Da-für war es bezeichnend, dass Friedrich Ebert die Ausarbeitung des für die einzuberufende Nationalversammlung bestimmten Verfassungs-entwurfes dem liberalen Verfassungsrechtler Hugo Preuß übertrug. Zu den uneingeschränkten Befürwortern des parlamentarischen Systems gehörten 1919/1920 neben den Mehrheitssozialdemokraten nur die Linksliberalen. Trotz der vorübergehend starken Popularität des Räte-gedankens war dieser in den Augen der großen Mehrheit der Sozial-demokraten keinen Ersatz, sondern nur eine Ergänzung der Repräsen-tativverfassung. Die politische Rechte sah jedoch vor der Unterzeich-nung des Friedensvertrags keine Möglichkeit, den Übergang zum Par-lamentarismus zu blockieren.
Jedoch befanden sich die Parteien der Weimarer Koalition, die den Verfassungsgebungsprozess getragen hatten, bereits nach den Reichs¬¬tagswahlen vom Juni 1920 in der Minderheit. Seitdem waren die Re-publikaner in der Defensive, und es stellt sich die Frage, warum das parlamentarische System trotz der fehlenden Mehrheiten bis zur Phase der Präsidialkabinette Bestand hatte. Die häufig hervorgehobenen Funktionsmängel der Weimarer Reichsverfassung, die den politischen Parteien erlaubten, immer wieder den Sturz der Reichsregierung her-beizuführen, ohne selbst politische Verantwortung zu übernehmen, sind jedoch für die Dauerkrise des parlamentarischen Systems nicht in Anschlag zu bringen. Sie beruhte vornehmlich auf dem Fehlen parla-mentarischer Mehrheiten.
Die verfassungspolitische Schwebelage, die sich daraus ergab, war im wesentlichen das Ergebnis der außenpolitischen Abhängigkeit, in der sich die Weimarer Republik befand. Auf erweiterter Stufenleiter wie-derholte sich die im Falle Österreichs geschilderte außenpolitische Abhängigkeit von den Westmächten. Analog zu den finnisch-sowjetischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit, für die James N. Rosenau den Begriff eines „penetrierten Systems“ eingeführt hat, war die außenpolitische Handlungsfreiheit Deutschlands durch den Frie-densvertrag von Versailles und die im Dawes- und dann im Young-plan eingegangenen Verpflichtungen und die bei Verstößen angedroh-ten Sanktionen der Westmächte stark eingeengt.
Der Druck, der von den Alliierten ausging, um die im Versailler Frie-densvertrag und der Londoner Schuldenkonferenz festgelegten ver-traglichen Verpflichtungen zu erfüllen, stellte einerseits eine extreme Belastung für die Reichskabinette dar, wirkte sich aber andererseits dahingehend aus, den Status quo zu akzeptieren, außenpolitische Ex-perimente zu unterlassen und die DNVP zu isolieren. Die sich an den Kapp-Putsch anschließenden Vorgänge zeigten dies eindrücklich. Die Schwerindustrie an der Ruhr war nicht bereit, dem Umsturzversuch des Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp vom März 1920 ihre Unterstützung zu geben, so sehr sie mit der politischen Rechten sym-pathisierte.
In der Tat schlossen die Entmilitarisierung des Rheinlandes und die alliierte militärische Präsenz ein eigenmächtiges Vorgehen, wie es Mustafa Kemal (Attatürk) für die Türkei erfolgreich in Gang setzte, indem er die Bestimmungen des Friedensvertrages von Sevres unter-lief, von vornherein aus. Dies hätte nur die 1923 dann doch erfolgende Besetzung des Ruhrgebiets und des Rheinlandes provoziert. Eine ähn-liche Situation trat nach dem 8. November 1923 ein. Die Absicht der Vaterländischen Verbände, im Zusammenwirken mit der bayerischen Reichswehrdivision, die Bildung sozialdemokratisch-kommunistischer Koalitionsregierungen in Sachsen und Thüringen als Vorwand für ei-nem „Marsch auf Berlin“ und den Sturz der Berliner Republik zu be-nützen, scheiterte im Vorfeld an der Entschlossenheit Gustav Strese-manns, dem bayerischen Alleingang entgegenzutreten, und am Zögern des Chefs der Reichswehr, Hans von Seeckt, sich an dem geplanten Triumvirat der Verschwörer zu beteiligen. Hitlers Versuch, sich ange-sichts von deren Zögern an die Spitze der „nationalen Revolution“ zu setzen und durch einen spektakulären Propagandamarsch das Heft des Handelns wieder zurück zu gewinnen, scheiterte am 9. November 1923 an der Feldherrnhalle im Kugelhagel der Bayerischen Polizei-kräfte. Das Ausbleiben der geplanten Gegenrevolution beruhte nicht zuletzt darauf, dass keinerlei Chancen bestanden, sie außenpolitisch abzusichern und die befürchtete Besetzung des Reichsgebietes durch Frankreich abzuwenden.
Der relative innenpolitische Schwebezustand, der in der Phase der Bürgerblockkabinette von 1924 bis 1928 eintrat, beruhte in erster Li-nie darauf, dass eine Verweigerung der Reparationsleistungen des Reiches und die Bildung eines Kampfkabinetts der politischen Rech-ten empfindliche wirtschaftliche Sanktionen der Westmächte nach sich gezogen hätten, darunter die Zurückziehung der ausländischen Kredite, mit denen der bemerkenswert rasche wirtschaftliche Aufstieg der Republik finanziert worden war. Darüber konnte die lautstarke Agitation der Presse des Hugenberg-Konzerns nicht hinwegtäuschen.
Gustav Stresemann blieb nur deshalb so ungewöhnlich lange in dem Amt des Reichsministers des Äußeren, weil die bürgerlichen Rechts-parteien, in denen seit 1928 Alfred Hugenberg eine ausschlaggebende Rolle einnahm, noch vor einem offen Bruch zurückscheuten. Strese-mann war daher auf die Unterstützung der SPD angewiesen, um die von ihm zielbewusste Verständigungspolitik mit Frankreich voranzu-bringen. Die parlamentarische Verabschiedung der Dawesplan-Gesetze wurde dadurch möglich, wie dies zuvor auch für die der Lo-carno-Verträge gegolten hatte. Darin lag eine indirekte Stabilisierung des parlamentarischen Systems.
Die innenpolitischen Kosten der Stresemann’schen Erfüllungspolitik bestanden in verschärften Forderungen der Schwerindustrie in der Ar-beitszeitfrage und auf den Abbau des sozialstaatlichen Interventionis-mus der Republik. Das betraf in erster Linie das Instrument der Zwangsschlichtung, das in der Phase der Währungsstabilisierung un-erlässlich zu sein schien, aber dann zur Dauereinrichtung geworden war und in weiten Bereichen der Wirtschaft das System der Tarifau-tonomie außer Kraft setzte. Zwar scheiterte der Frontalangriff der Schwerindustrie gegen die staatliche Schlichtung im Ruhreisenstreit von 1928, aber die Niederlage der Arbeitgeber verstärkte den Druck der industriellen Interseengruppen in Richtung auf eine Einschrän-kung beziehungsweise Abschaffung des parlamentarischen Systems, das von einflussreichen Kreisen der Unternehmer als Urheber des So-zialstaates betrachtet wurde. Dass der Konflikt der Großindustrie mit der Republik nicht schon früher aufgebrochen war, hing mit dem Kal-kül der Unternehmerverbände zusammen, dass es untunlich zu sein schien, noch vor dem Abschluss der anstehenden Revision des Dawes-Plans den Boden des parlamentarischen Vorgehens zu verlassen.
Einer der tieferen Gründe für das Ende der Bürgerblockkabinette und die Bildung der Großen Koalition unter Führung der Sozialdemokratie Müller bestand in der fehlenden Bereitschaft der rechtsbürgerlichen Parteien, die Verantwortung für die bevorstehenden Young-Plan-Verhandlungen zu übernehmen und die bisherige Linie der Totalver-weigerung der Reparationen aufzugeben. Daraus ergab sich, dass das Koalitionskabinett unter Reichskanzler Hermann Müller bis zum Frühjahr 1930 im Amt blieb, obwohl es an innenpolitischem Spreng-stoff nicht fehlte. Insofern wirkte sich die ungelöste Reparationsfrage sich zugunsten der Aufrechterhaltung des parlamentarischen Systems aus, das von den bürgerlichen Parteien bereits in Frage gestellt wurde, die eine Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten auf Kosten der parlamentarischen Souveränität anstrebten. Der Umstand, dass Gustav Stresemann entgegen den überschäumenden Hoffnungen der Locarno-Periode auf einen revisionspolitischen Durchbruch nur Teilerfolge er-zielte und die Rheinlandräumung bis nach seinem Tode 1930 aufge-schoben wurde, hinderte die antiparlamentarischen Kräfte in den rechtsbürgerlichen Parteien daran, die politische Macht zu ihren Be-dingungen an sich zu reißen.
Im Grunde sollte sich diese Konstellation in der Ära Brüning wieder-holen. Die Lösung der Reparationsfrage, die sich im Juni 1932 ab-zeichnete, machte die im Zusammenhang mit Zuge der Tolerierungs-politik vorgenommene indirekte Einbeziehung der SPD in den Augen der Rechtsparteien obsolet, zumal sich das Risiko einer alliierten In-tervention infolge der finanzpolitischen Frankreichs verringerte. Brü-nings Kalkül, der erhoffte Durchbruch bei den Abrüstungs- und Repa-rationsverhandlungen werde seine innen politische Position befesti-gen, erwies sich daher als verfehlt, vielmehr wurde er als außenpoliti-scher Makler mehr und mehr entbehrlich. Mit seinem Sturz fielen die letzten Pfeiler des parlamentarischen Systems ein, die er selbst tatkräf-tig mit ausgehöhlt hatte.
Die Auflösung des parlamentarischen Systems ist daher nicht primär auf den Aufstieg der NSDAP als Massenbewegung zurückzuführen und war gerade nicht das Resultat einer Strangulierung der Republik durch links- und rechtsextremistische Bewegungen. Es beruhte in ers-ter Linie auf dem Autoritätsverlust der bürgerlichen Mittelparteien. Dieser war in erster Linie auf die sich seit 1923 beschleunigende ver-bandspolitische Segmentierung des Parteiensystems und die zuneh-menden Mediatisierung der parlamentarischen Willensbildung durch Interessenverbände aller Art zurückzuführen.
Die NSDAP profitierte von der fortschreitenden Auflösung der bür-gerlichen Mitte und eroberte zunächst das von diesen unbearbeitet ge-lassene Feld der freien Wählervereinigungen und lokaler Interessen-gruppen, um dann erfolgreich die verbandspolitische Substruktur der bürgerlichen Parteien, nicht zuletzt den einflussreichen Reichsland-bund, zu unterwandern und gleichzuschalten. Das war das Geheimnis ihrer spektakulären Wahlerfolge nach dem September 1930. Die defi-nitive Aufkündigung des parlamentarischen Systems erfolgte mit der Entscheidung des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, an der Stelle der verfassungsmäßig notwendigen Auflösung des Reichstags die Ernennung des Kabinetts Hitler am 30. Januar 1933 zu vollziehen, wobei die Befürchtung der Kamarilla maßgebend war, dass offene Neuwahlen eine republikanische Mehrheit bringen würden.
Die Krise des parlamentarischen Systems in der Weimarer Republik erfolgte nicht isoliert, sondern reflektierte eine für den europäischen Kontinent generell bestimmende Tendenz der Aushöhlung liberaler Traditionen und Strukturen. Nur die unter britischem Einfluss verblei-benden skandinavischen und die Benelux-Staaten hielten an der par-lamentarischen Verfassung fest. In Deutschland und in Österreich vollzog sich der Übergang zum autoritären oder faschistischen System im Vergleich zu den südöstlichen und östlichen Nachbarstaaten mit einer charakteristischen Verzögerung, die mit ihrer finanz- und wirt-schaftspolitischen Abhängigkeit von den Westmächten zusammen-hing. Die Auswirkungen der Weltwirtschaftkrise, darunter die Schwä-che des französischen Franc und der Zerfall der finanziellen Hegemo-nie Frankreichs, öffneten die Schranken gegenüber einem sich zu au-toritären Formen hin vollziehenden Verfassungswandel und verscho-ben die Gewichte zugunsten der aufstrebenden faschistischen Bewe-gungen. In diesen Zusammenhang gehört auch die vom deutschen Auenminister Robert Curtius mit stillschweigender Billigung durch Heinrich Brüning die Forcierung der Anschlussfrage, doch scheiterte bereits des Projekt einer Zollunion an dem entschiedenen Widerstand der französischen Politik und endete in einem diplomatischen Deba-kel.
Die Tschechoslowakei, die zunächst am französischen Vorbild fest-hielt, folgte spätestens nach der Münchner Konferenz der Preisgabe der parlamentarischen Tradition durch Frankreich, die in der Etablie-rung des Vichy-Regimes zum Ausdruck kam. Frankreich selbst war zunächst von der Erosion liberaler Kräfte eher verschont geblieben. Trotz der tiefen Wunden, die der Erste Weltkrieg der französischen Nation zufügte, riss die politische und intellektuelle Kontinuität zur Vorkriegsepoche nicht ab. Probleme der nationalen Identität stellten sich bei der Grand Nation, bei der die Erinnerung an die Revolution von 1789 und Napoleon I. lebendig blieb, nicht ein.
Es gab daher keinen Zusammenbruch der Dritten Republik, und die wirtschaftliche Krise seit 1928 wirkte sich weniger stark aus, als das für die östlichen Nachbarländer galt. Frankreich war zwar das Ur-sprungsland der vielfältigen Ideenströme, auf die sich die faschisti-schen Bewegungen der Zwischenkriegszeit beriefen, aber diese blie-ben, auch was ihre Vorgängerin, die Action Francaise anging, margi-nale politische Gruppierungen und tangierten die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen System nicht. Hingegen riefen die in Frank-reich verzögert einsetzenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise schwere Konflikte zwischen der organisierten Arbeiterschaft und den Parteien der Rechten hervor. Das wachsende Misstrauen zwischen dem Lager der traditionellen französischen Rechten und ihren nationa-listischen Hilfstruppen einerseits und der von Léon Blum nur vorü-bergehend zusammengehaltenen sozialistischen Linken andererseits kulminierte in der Krise vom November 1934 und der Bildung der Volksfrontregierung Léon Blums.
Aber erst der deutsche Angriff im Mai 1940 brachte die Krise des re-publikanisch-parlamentarischen Systems auf den Gipfelpunkt. Die Unterzeichnung des Waffenstillstandes am 22. Juni, die von Pierre Laval betriebene Verlegung der Nationalversammlung nach Vichy und die Ernennung von Marschall Pétain zum „Chef de l’État Fran-cais“ bezeichneten das Ende der Dritten Republik. Die Nationalver-sammlung erteilte Pétain die Vollmacht zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung, die dem Vichy Regime als Grundlage diente. Das bedeu-tete – von einigen kleineren Ausnahmen abgesehen – das einstweilige Ende des parlamentarischen Systems in Kontinentaleuropa. Es fiel mit der Erringung der Kontinentalherrschaft durch das Dritte Reich zu-sammen.
Neben den gemeinsamen Ursachen des Scheiterns der parlamentari-schen Demokratie in den einzelnen Ländern müssen, die Unterschiede berücksichtigt werden, welche die Entwicklung der Weimarer Repu-blik von derjenigen ihrer Partnerländer abheben. Dabei geht es auch darum zu erklären, warum sich in Deutschland gegenüber der konkur-rierenden bürgerlichen Rechten die zerstörerischste und gewalttätigste Variante der autoritär-faschistischen Tendenzen der Epoche durch¬setzte. Dies beruht auch auf der relativen Verzögerung des endgülti-gen Scheiterns der Weimarer Demokratie, die deren radikalste Alter-native zum liberalen Verfassungsstaat an die Macht brachte.
Eine vergleichende Sicht der institutionellen Prozesse in den europäi-schen Ländern vermag dazu zu verhelfen, die Krise der Weimarer Re-publik und der Republik Österreich in einen gesamteuropäischen Zu-sammenhang zu stellen. Dies verhilft dazu, kurzschlüssigen Argumen-ten nicht zu erliegen, so der Vorstellung, als hätte ein Bekenntnis zur „wehrhaften Demokratie“ , wie es für die Bundesrepublik Deutsch-land gilt, die Auflösung der Republik verhindern können, oder der zeitgenössisch beliebten These, dass die Republik Österreich von vornherein nicht lebensfähig gewesen sei.