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Geschichte und Identität


Der Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung (VGA) wurde im Jahr 1959 aus einer zweifachen Intention heraus gegründet. Zum einen sollte eine Institution zur Festschreibung der historischen Identität der österreichischen Arbeiterbewegung ins Leben gerufen werden – umso mehr als hierzulande (im Gegensatz zur angloamerikanischen Tradition) die Geschichte der Arbeiter und Arbeiterinnen noch jenseits des Wahrnehmungshorizontes der offiziellen Universitätshistoriographie lag. Zum anderen ging es darum, ein institutionelles Auffangbecken für jene Archivbestände einzurichten, die vor dem Zweiten Weltkrieg und während des Krieges über ganz Europa verstreut waren und nunmehr nach Österreich zurückgebracht werden sollten.

Um einer in den letzten Jahren wachsenden gender consciousness Rechnung zu tragen, hat der VGA 2014 seinen Namen in Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung geändert.

Der Wandel in der Sozialdemokratie

Die Niederlage im Bürgerkrieg des Jahres 1934 und die definitive Machtergreifung des ständestaatlich verfassten Austrofaschismus hatten das europaweit wohl einzigartige Organisationsgebäude der alten Sozialdemokratie mit einem Schlag einstürzen lassen.

Während der siebenjährigen Terrorherrschaft des Nationalsozialismus hatte die Partei – die in den Jahren des erzwungenen Untergrunds von 1934 bis 1938 noch zirka 20.000 illegale Kader zu mobilisieren vermochte – auch in einem organisatorischen Sinn zu existieren aufgehört; ihre qualifiziertesten (meist jüdischen) Intellektuellen und Aktivisten waren entweder in Vernichtungslager verbracht oder in die Emigration gezwungen worden.

So war die Sozialdemokratie nach dem Ende des Hitlerfaschismus in gänzlich anderer Form und mit gänzlich anderen Zielvorstellungen wieder erstanden, als dies in der Zeit davor denkbar gewesen wäre. Sie vollzog die Abkehr von einer fundamentalen Opposition hin zu einer Zusammenarbeit mit dem Bürgerkriegsgegner von gestern und hin zur Teilnahme an der Regierung. Im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit wurde kein Anspruch mehr auf eine grundlegende Änderung der bestehenden Gesellschaftsordnung erhoben, vielmehr ging es um eine Politik der sozialen Modifikation des prinzipiell marktwirtschaftlich orientierten Wiederaufbaus.

Die Nachkriegs-Sozialdemokratie präsentierte sich als eine pragmatische, an den tagespolitischen Notwendigkeiten orientierte, reformistische Regierungspartei, die gewillt war, aus den ‚historischen Irrtümern’ der dreißiger Jahre ihre Lehren zu ziehen. Im Gegensatz zur Zwischenkriegszeit – als von einem durch die historische Entwicklung notwendigen, quantitativen Hineinwachsen in den Sozialismus ausgegangen wurde – war auch ihr Zugang zur Geschichte nunmehr ein pragmatischer.

Gründung des VGA 1959

Ein Zugang, der auch Pate stand, als eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende des Faschismus und keine fünf Jahre nach dem Abzug der Besatzungsmächte der Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung gegründet wurde. Die wesentlichen Proponenten des Vereins in seinen Gründungsjahren waren politische Praktiker wie Oskar Helmer, Karl Maisel, Rosa Jochmann, Gabriele Proft, Alois Piperger (Porträts unten von links nach rechts) oder Journalisten wie die Remigranten Marianne und Oscar Pollak oder der spätere Geschäftsführer Ernst K. Herlitzka, aber keine professionellen Historiker.



Ihnen allen ging es nicht nur um die (gezwungenermaßen außeruniversitäre) Etablierung eines Faches ‚Geschichte der Arbeiterbewegung’, sondern ebenso sehr um die Schaffung einer gesicherten Infrastruktur zur Aufbewahrung der nunmehr nach Österreich zurückgelangenden historischen Archivbestände. Nach dem Abzug der russischen Besatzungsmacht war mit der Gründung des VGA die zweite Voraussetzung erfüllt, an die Fritz Adler eine mögliche Rückkehr seiner persönlichen und der in seiner Obhut befindlichen Archive (die seit 1933 sukzessive an diversen außerösterreichischen Standorten deponiert worden waren) gebunden hatte.

Entwicklung bis heute

Die weitere institutionelle Entwicklung des VGA konnte allerdings für lange Zeit mit dieser ihm bei seiner Gründung zugeschriebenen Bedeutung nicht Schritt halten. Zwar wurden in der Wiener Arbeiterkammer zwei Zimmer angemietet, die drückende Raumnot zwang jedoch zu häufigen Improvisationen und zur Verlagerung bedeutenden historischen Archivguts in immer neue Notunterkünfte.

Erst mit Ende Oktober 1969 konnten in der Josefstädter Albertgasse 23 (am ehemaligen Sitz der Freien Schule) adäquate Räumlichkeiten bezogen und die mittlerweile zu einem beträchtlichen Umfang angewachsenen historischen Sammlungen des Vereins an einem Ort zentralisiert werden. Für weitere eineinhalb Jahrzehnte standen nunmehr pragmatisch orientierte Sicherungs- und Archivierungsarbeiten im Vordergrund der Vereinsaktivitäten.

Erst als sich Mitte der 1980er Jahre die budgetäre Lage konsolidierte und die finanzielle wie personelle Basis erweitert wurde, konnte sich der VGA auch als wissenschaftliches Forschungsinstitut mit starken internationalen Bezügen positionieren. Seit einer im Jänner 1989 erfolgten weiteren Übersiedlung – in das traditionelle Vorwärts-Haus an der Rechten Wienzeile 97 – hat der Verein seine historisch wohl einmaligen Archivbestände im Zuge von mehrjährigen Projekten edv-unterstützt neu geordnet, katalogisiert, beschrieben und zur öffentlichen Benützung aufbereitet.

Als Sonderbereich des Wiener Stadt- und Landesarchivs versteht sich der VGA als moderne Wissenschaftsinstitution, die ihre archivalischen und bibliothekarischen Tätigkeitsbereiche mit projektgeleiteter Forschung und benutzerorientiertem Service verbindet.